Frühe Gefühle

Manchmal kämpft man sich durch hunderte Seiten, um auf den einen Vers zu stoßen, der mit dem Buch versöhnt, das man fast entnervt weggelegt hätte. Es handelt sich um „I’m your man“ von Sylvie Simmons. In nervender Gleichförmigkeit listet es die Gedichte, Lieder und Frauen von Leonard Cohen auf. Es sind viele. Was wir nicht erfahren: Warum sich ein junger Kanadier Ende der vierziger, Anfang der fünfziger Jahre dazu entschließt, ein Dichter zu werden. Woher der seltsame Zauber mancher seiner Texte rührt. Und wie es kam, dass uns ein höchstens mittelmäßiger Gitarrist und Sänger aus der Generation unserer Eltern mit oft schrägen musikalischen Arrangements so sehr berührte, als wir um die Zwanzig waren.

Schwer zu sagen, was uns faszinierte. Da sang jemand von Gefühlen, über die wir nicht einmal sprechen konnten. Wenn wir sie überhaupt hatten. „Songs from a Room“, „Songs of Love and Hate“, „Live Songs“, die Platten waren, da immer wieder aufgelegt, bald verkratzt. Sonst liefen Janis oder Jimi oder Keith Emerson, beispielsweise. Aber immer wieder auch Cohen. Dann gerieten seine LPs irgendwie nach unten in den Stapel. Eine Wiederbegegnung gab es, als abgewetztes Vinyl durch die CD ersetzt wurde. Es war auch eine schmerzende Begegnung mit der diffusen Sehnsucht der früheren Jahre.

„There is a crack in everything / that’s how the light gets in.“ So lautet der Vers. Verzweiflung an der Welt und Versöhnung mit ihr in zwei Zeilen. Zwölf Worte, die bleiben.

(Sylvie Simmons: I’m your man. Das Leben des Leonhard Cohen; btb)IMG_0543


Ein Gedanke zu “Frühe Gefühle

  1. Lieber Uli
    die zwei Zeilen von Leonard Cohen haben mich auch stets sehr bewegt. Deshalb habe ich sie ja auch in meinem Roman: „Crazy Dogs“ an den Schluss als Zitat gestellt. Sie bewegen und bauen auf und ich weiß, dass sie stimmen. Ich glaube daran.
    Brigitte

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