Randbemerkungen 3/20

Der Spekulant Alexander Dibelius, vormals Deutschlandchef der Investmentbank Goldman Sachs, betätigt sich jetzt nebenberuflich als Ethiker des Profits. Er fragt sich im Handelsblatt, ob es richtig ist, 90 Prozent der gesamten Volkswirtschaft extrem zu behindern, um zehn Prozent der Bevölkerung zu schonen. Das könne doch die dramatische Konsequenz haben, „dass die Basis unseres allgemeinen Wohlstandes massiv und nachhaltig erodiert“, meint er, seinen Reichtum kurzum verallgemeinernd, ohne ihn freilich z. B. mit den mehr als zwanzig Prozent Niedriglöhnern in diesem Land zu teilen. Auch Matthias Döpfner, Chef des Springer-Konzerns, hat da so seine Zweifel an der Verhältnismäßigkeit.

Die Verantwortlichen des Österreichischen Touristenzentrums Ischgl und ihre vorgesetzten Behörden hatten keine Zweifel. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtet, lief dort der Wintersportbetrieb ungehindert weiter, als Ende Februar in einer Après-Ski-Bar ein erster Corona-Fall festgestellt wurde. Klingelnde Kassen an Skiliften und in Restaurants auch dann noch, nachdem Island den Ort am 5. März zum Risikogebiet erklärt hatte. Es waren in einer isländischen Reisegruppe 15 Infektionen festgestellt worden. Erst am 13. März wurde über den Ort die Quarantäne verhängt. Touristen reisten dennoch ab und begaben sich zum Teil nicht auf direktem Weg in ihre Heimatorte, sondern machten unterwegs Station. In den folgenden Tagen meldeten Norwegen, Dänemark, Großbritannien und vor allem Deutschland Hunderte von Personen, die sich nachweislich in Ischgl angesteckt haben. Wir wissen nicht, wie viele von denen, die sich direkt und mittelbar infiziert haben, gestorben sind. Sonst könnten wir Dibelius und Döpfner fragen, ob in dem Fall das Verhältnis von Opfern und Rendite stimmt.

Herr Dibelius hätte sich übrigens der Anstrengung philosophischen Denkens nicht unterziehen müssen, hätte sich stattdessen voll und ganz seinen zweifelhaften Geschäften widmen können, wenn die Regierungen die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation ernst genommen hätten. Die Süddeutsche Zeitung informiert, dass die WHO bereits 2005 feststellte, die Welt stehe so nahe vor einer Pandemie wie seit 1968 nicht mehr (dem Jahr der Hongkong-Grippe). Der damalige UN-Generalsekretär Annan befürchtete Millionen Tote und die Verwüstung ganzer Volkswirtschaften, wenn die Vogelgrippe, die die Warnungen der WHO ausgelöst hatte, sich von Mensch zu Mensch übertragen würde. Der britische Gesundheitsexperte David Nabarro warnte vor einer Influenza-Pandemie mit bis zu 150 Millionen Toten. 2014 folgte mit dem Ebola-Ausbruch in Afrika ein weiteres Alarmsignal. All das von den Regierungen: Überhört, ignoriert, abgestritten. Es hätte doch z. B. die Sparpolitik im Gesundheitswesen gestört – und auch die Geschäfte des Herrn Dibelius und seiner Kollegen.


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