Verse für den Kampf der Bergleute

(Manche Texte sind, obwohl schon älter, durchaus frisch. Warum sie also nicht noch einmal veröffentlichen? Folgender Artikel erschien am im September 2007 auf onruhr.de, einer Online-Zeitung, die nach wenigen Ausgaben untergegangen und mir einige Honorare schuldig geblieben ist.)

Sozialgeschichte in Reimen: Die schrieb der Bergarbeiter Heinrich Kämpchen, der in diesen Tagen vor 95 Jahren starb. Heute nur noch Eingeweihten ein Begriff, war er im Ruhrgebiet zu Lebzeiten und noch viele Jahre später ungeheuer populär.

Woche für Woche zehntausende treuer Leser, davon dürfte mancher Lyriker träumen. Heinrich Kämpchen hatte sie. Und das, obwohl er nicht die Liebe besang und nur selten die Schönheit der Natur. Sein Thema war die Welt der Bergleute, freilich nicht die Knappen-Folklore mit Uniform und Blasmusik, sondern die harte Arbeit unter Tage mit ihren großen Gefahren. Und der Kampf um Gerechtigkeit und Freiheit.

Kämpchen wusste aus eigenem Erleben, wovon er schrieb. Als Sohn einer in Altendorf (heute Essen) alteingesessenen Bergmannsfamilie 1847 geboren, hatte er ebenfalls Arbeit im Bergbau angenommen. Über seine ersten Jahrzehnte als Bergmann wissen wir nichts. Erst 1889, mit dem großen Bergarbeiterstreik, der zur Gründung der sozialdemokratisch orientierten Bergarbeitergewerkschaft führte, trat er aus der Masse der Kumpel hervor. Die Belegschaft der Zeche Hasenwinkel in Linden bei Bochum wählte ihn zu ihrem Streikführer.

Als Sozialdemokrat auf den schwarzen Listen der Zechenbarone

Wer streikte, war damals automatisch entlassen. Wiedereinstellung nach dem Arbeitskampf war ungewiss. So hat Kämpchen nach dem Streik teuer bezahlt. Die Grubeneigentümer setzten ihn auf ihre Schwarze Liste und schrieben hinter seinen Namen: „Steht allgemein in dem Verdacht, der socialdemokratischen Partei anzugehören.“ Dieser Satz kam in jenen Jahren praktisch einem Berufsverbot gleich. Noch einmal Arbeit auf einer Ruhrzeche zu finden, das war für Kämpchen zu einem hoffnungslosen Unterfangen geworden. Er hatte sich fortan mit einer kleinen Invalidenrente und einem ambulanten Zigarrenhandel durchzuschlagen – und mit den sehr schmalen Honoraren, die er für seine Gedichte erhielt. Wann er begonnen hatte, sie niederzuschreiben, ist nicht bekannt. Aber jetzt wurden sie regelmäßig in der Bergarbeiterzeitung abgedruckt, dem in Bochum erscheinenden Organ der neuen Gewerkschaft.

Seine Verse waren Anklagen gegen die Grubenbesitzer und deren rücksichtslose Ausbeutung der Bergleute und zugleich Aufrufe zu Einigkeit und Kampf. Sie handelten von den alltäglichen Sorgen und Nöten der Bergarbeiterfamilien, von Steigerwillkür, vom zum Leben nie wirklich reichenden Lohn. Und von den gesundheitlichen Schäden, etwa der Staublunge, die damals irgendwann jedem Bergmann das Leben zur Qual machte und zu vorzeitigem Tod führte. Seine Gedichte sind auch Dokumente des Zorns angesichts der Grubenunglücke, die Jahr für Jahr etliche Todesopfer forderten, wie das auf der Zeche Radbod bei Hamm im Jahr 1908, bei dem 350 Kumpel starben, weil – so wurde vermutet – Sicherheitsbestimmungen nicht eingehalten worden waren: „Was nützt das Jammern, Klagen, / die Knappen weckt es nicht, / die wieder jäh erschlagen / sind fern vom Sonnenlicht. / Und ob die Waisen wimmern / auch wild in Todespein, / man wird die Särge zimmern / man scharrt die Leichen ein.“

Den Verantwortlichen für das Bergmannselend rief er zu: „Und wenn die Zornessaat gereift / und wenn der Bergmann nicht mehr will, / ob Ihr dann trommelt oder pfeift – / Stehn wieder alle Räder still.“

Die, die im Streik abseits standen oder gar Streikbrecherdienste leisteten, verspottete er als die „Willigen, die Guten und die Billigen,“ den Kollegen aber machte er Mut: „Seid einig, seid einig – dann sind wir auch frei!“

Seine Gedichte wurden nach bekannten Melodien gesungen

Es ist heute kaum noch nachzuvollziehen, welch große Bedeutung Kämpchens Gedichte bei der Verbreitung gewerkschaftlicher Ideen und Forderungen hatten. Sie waren buchstäblich in aller Munde und viele seiner Verse wurden zu den Melodien bekannter Volkslieder gesungen. Als die Leitung der Bergarbeitergewerkschaft irgendwann einmal auf die Idee kam, sie von der ersten Seite der Bergarbeiterzeitung zu verbannen, erntete sie auf den Zechen massive Proteste und machte ihren Beschluss schleunigst rückgängig.

Bei allem Erfolg blieb Heinrich Kämpchen bescheiden und lebte mehr als 30 Jahre unverheiratet als Kostgänger, der sein wöchentliches Gedicht zu Fuß von Linden in die Redaktion nach Bochum brachte, weil er das Geld für die Straßenbahn nicht hatte. Sein Schreibgerät war ein Bleistiftstummel, seine Inspiration schöpfte er aus den Gesprächen mit den Kumpeln in der Nachbarschaft. Als er am 6. März 1912 starb, war die Bergarbeiterschaft an der Ruhr in Trauer. Tausende nahmen an seiner Beerdigung teil. Und noch viele Jahre nach seinem Tod wurden am 6. März Gedächtnisfeiern abgehalten, bei denen seine Gedichte vorgetragen wurden. Einen letzten, an seine Kollegen gerichteten Aufruf zur Solidarität hatte er ein paar Stunden vor seinem Tod diktiert: „Und ist es Todesahnung / was heut der Sänger spricht / nehmt es als letzte Mahnung: / Vergesst die Treue nicht!“

Hintergrund: Ruhrbergbau im 19. Jahrhundert

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts waren die Bergleute ein von alters her privilegierter Berufsstand unter dem Schutz der Obrigkeit. Ab den sechziger Jahren wurde die staatliche Regelung von Arbeits- und Lebensbedingungen der Bergleute durch die freie unternehmerische Entscheidung der Zechenbesitzer abgelöst. In der Folge sanken die Löhne, während die Arbeitszeit zunahm. Sicherheitsvorkehrungen wurden vernachlässigt, was oft tödliche Unfälle nach sich zog. Willkürlich nicht entlohnte Arbeitsleistung sorgte für böses Blut. Die Bergarbeiter wehrten sich mit erbitterten Streiks, die aber den Missständen nicht dauerhaft abhelfen konnten. Dennoch legten sie den Grundstein für eine bessere Zukunft: Sie führten 1889 zur Gründung des „Verbandes zur Wahrung und Förderung der bergmännischen Interessen in Rheinland und Westfalen,“ der ersten Bergarbeitergewerkschaft in Deutschland.

 


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