Wer tritt aus welchen Gründen und mit welchen Zielen für die Lockerung der Beschränkungen ein, mit denen die exponentielle Ausbreitung des Coronavirus bisher verhindert werden konnte? Der Virologe Christian Drosten hat dazu in der Süddeutschen Zeitung vom 25. April interessante Aussagen getroffen. Zu der sogenannten Heinsberg-Studie und zu der PR-Agentur (des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Diekmann), die sie als politisch richtungsweisend lancierte und medial vermarktet hat, bemerkt er: „Ich finde das alles total unglücklich – und ich finde es noch schlimmer, wenn ich dann (…) lese, dass diese Firma Geld bei Industriepartnern eingesammelt hat, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Da geht es auch um ein internes Dokument, demzufolge Tweets und Aussagen des Studienleiters Hendrik Streek in Talkshows schon wörtlich vorgefasst waren. (…) Das hat mit guter wissenschaftlicher Praxis nichts mehr zu tun. (…) Hendrik Streek sagt, er gehe da völlig ergebnisoffen ran. Aber wenn das stimmt mit dem internen Papier der PR-Agentur, dann war das gar nicht ergebnisoffen. Sondern eine von vornherein geplante Botschaft, die man sich kaufen konnte.“ Im Weiteren spricht Drosten von „gewissen politischen Kräften, (…) die sagen, man müsse der Wirtschaft eine Chance geben. (…) Ich mache mir wirklich Sorgen, wenn ich Vertreter der Wirtschaft höre, die praktisch sagen, von dieser Lockerung weichen wir jetzt keinen Millimeter zurück. Als wäre das Verhandlungssache. Aber wenn überhaupt, dann verhandelt man da mit der Natur, nicht mit einem Virologen.“
In dem Zusammenhang passt, was Bundestagspräsident Schäuble laut Deutschlandfunk im Tagesspiegel äußerte. Es sei in dieser Absolutheit nicht richtig, dass in der Coronakrise alles vor dem Schutz des Lebens zurückzutreten habe. Das Verfassungsprinzip der Würde des Menschen, so Schäuble, schließe nicht aus, dass man sterben müsse. Wohl wahr. Aber wie verhält sich die Triage, über die mittlerweile ganz ungeniert und wie selbstverständlich räsoniert wird, zur Würde des Menschen? Der Staat müsse bestmögliche gesundheitliche Versorgung gewährleisten, meint Schäuble. Wieso ist das Gesundheitswesen durch Rationalisierung, Privatisierung und Sparpolitik dann aber dermaßen herabgewirtschaftet worden? Und weshalb wurden die Warnungen vor einer jederzeit möglichen Pandemie etliche Jahre in den Wind geschlagen? Resultat des in Deutschland praktizierten „Lebensschutzes“, der Schäuble offensichtlich zu „absolut“ ist, sind bis heute (26. April) nach der offiziellen Statistik 5.640 Tote infolge der Infektion mit dem Coronavirus.
Einmal mehr ist man bei der Erhöhung des Kurzarbeitergeldes durch die große Koalition an eine Mogelpackung erinnert. Erst Tusch und Trommelwirbel und die Ankündigung, dass jetzt 80 bzw. 87 Prozent vom Netto gezahlt wird. Was schon nicht dem entspricht, was sachlich geboten wäre. Schließlich kann niemand bei Aldi oder Lidl oder sonst wo auf 80 Prozent reduzieren, was auf dem Kassenzettel steht. Dann stellt sich bei Lektüre des Kleingedruckten auch noch heraus, dass die Erhöhung an einige Bedingungen geknüpft ist, die den Kreis derjenigen, die in ihren Genuss kommen werden, deutlich einschränkt: Die Arbeitszeit muss um mindestens 50 Prozent reduziert sein und sie muss länger als drei Monate dauern. Denn erst ab dem vierten Monat gibt es mehr, allerdings nicht 80/87, sondern nur 70/77 Prozent. Die volle Erhöhung kommt erst ab dem siebten Monat. Das Verfahren ist von anderen sozialpolitischen Großtaten der Koalition bekannt. Z. B. bei der Rente mit 63, die nur einen kleinen Kreis von Berechtigten betraf, in Wirklichkeit eine Rente 63 plus ist und demnächst eine Rente mit 65 sein wird. Schöne Etiketten auf schalem Inhalt.