Früher war ich oft bei Haus Aspel, einem Kloster zwischen Haldern und Rees. Der Gebäudekomplex umfasst einen leuchtend gelb renovierten Flügel in barockem Stil und einen weit weniger prachtvollen in graubraunem Putz. Vor letzterem liegt der Parkplatz, auf dem ich stets mein Auto abstellte, um von dort über das Klostergelände zum Aspelschen Meer zu laufen. Am nahe der Einfahrt gelegenen kleinen Friedhof, auf dem die toten Nonnen unter marmornen Grabkreuzen liegen, die so uniform sind wie der Habit, den sie zu Lebzeiten trugen, fuhr ich immer vorbei. Die dahinterliegende, wenige Quadratmeter große, trapezförmige Fläche habe ich wohl deshalb erst vor ein paar Monaten entdeckt. Dort befinden sich acht Grabmale unter einem schlanken Holzkreuz, nicht aufrecht stehend wie die der frommen Schwestern, sondern kleine liegende Quader aus grob behauenem Granit. Auf sechs von ihnen die Namen von vier Polen und zwei Italienern, Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter, mit in den Stein gehauenen Todesdaten im März und April 1945. Die im Stadtarchiv Rees aufbewahrten Sterbeurkunden verzeichnen die Todesursachen: Septische Dyphterie, Gehirnentzündung, Darmtuberkulose und Milzzerreißung nach Schlag gegen die Milz, Zertrümmerungsschussbereich rechter Ober- und linker Unterschenkel, Zertrümmerung rechter Unterschenkel und schwere Weichteilwunden linker Unterschenkel.
Es gibt sehr viele Kriegsgräber am Niederrhein, der ab Anfang Februar 1945 Schlachtfeld war. Rees erreichte der Krieg am 16. Februar, an dem die Stadt durch Luftangriff zu einem Trümmerfeld wurde. Am 23. März gelang den britischen und amerikanischen Truppen dann der Übergang über den Fluss. Zwei Grabsteine fallen erst auf, wenn man die nicht mehr gut lesbaren Inschriften genau betrachtet. Auf dem einen steht: Woynowska, Josef, *7. 6. 1945, + 7. 6. 1945, Polen. Auf dem anderen: Deputat, Vilia, *? 5. 1945, + 30. 5. 1945, UdSSR. In den Akten finden sich noch folgende Angaben:
„Woynowska, Josef, Frühgeburt, Lebensschwäche.“ „Deputat, Vilia, Säugling, Magen- und Darmkatarrh, Blutdurchfall. Mutter und Vater nicht bekannt.“ Mehr nicht.
Wieso gehen mir die beiden nicht aus dem Kopf, seitdem ich ihre Gräber vor ein paar Monaten zum ersten Mal bemerkt habe?
Von manchen Geschichten wissen wir zu wenig, um sie zu erzählen. Aber wir sollen sie nicht vergessen.
