Eine neue Welt wollten wir schaffen, als wir vor rund 50 Jahren politisch wach wurden, eine Welt ohne Ausbeutung und Krieg. Wir empfanden uns als Teil einer weltumspannenden Bewegung, erkannten uns in den Protesten gegen den Krieg der USA in Vietnam ebenso wieder wie in den demonstrierenden Studenten und streikenden Arbeitern des Pariser Mai und des Prager Frühlings.
War das alles Unsinn? Jugendliche Träumerei, längst eingeholt von der harten Realität, die nun mal so ist wie sie ist? Es stimmt: Statt einer Welt ohne Ausbeutung haben wir heute eine der beschleunigter Verelendung, längst nicht mehr nur ein Phänomen in Asien, Afrika oder Südamerika, längst eine Realität nebenan, beispielsweise in Südosteuropa, längst auch im eigenen Land mit 20 bis 25 Prozent Arbeitenden im prekären Sektor des Arbeitsmarktes. Statt einer Welt ohne Kriege haben wir heute eine der verallgemeinerten Kriege und Bürgerkriege, nur beispielsweise in Syrien, in Myanmar, in Belarus, kaltblütig vom Militär exekutierte Demonstranten, Bomben auf Kinder… Und die davor fliehen wollen, treffen auf die geschlossenen Grenzen eines Europa, das zusieht, wie sie im Mittelmeer absaufen.
Und dann die Pandemie. Die erst möglich wurde, weil die Regierungen zugelassen haben, dass sich ein Virus global ausbreitet. Obwohl seit Jahrzehnten vor genau dem Geschehen gewarnt wird, das seit Anfang 2020 abläuft. Es hätte die Geschäfte gestört, rasch und entschlossen zu handeln. Wie jetzt die notwendigen und wirksamen Maßnahmen gegen die Pandemie nicht ergriffen werden, weil sie die Geschäfte stören würden. Im Grunde genommen erleben wir gerade den Bankrott eines Staatswesens und einer Gesellschaftsordnung, die nicht in der Lage und nicht Willens sind, die Gesundheit und das Leben der Menschen zu schützen. Deren Repräsentanten sich stattdessen ihrem persönlichen Ehrgeiz hingeben oder sich an der Pandemie bereichern. Für die das Geschäft, die Konkurrenz, der Markt, die Kapitalverwertung über allem stehen. Ein paar eilfertige „Ethiker“ finden sich immer, die in wohlgesetzten Worten darlegen, wieviel Leben geopfert werden darf, ja muss, und dass die Triage moralisch durchaus verantwortbar ist.
Diesem Bankrott wollten wir zuvorkommen. Dieser Barbarei, von Rosa Luxemburg als die grausige Alternative zum Sozialismus beschworen. Rosa Luxemburg, oft mit dem berühmten einen Satz zitiert, aber von wem eigentlich politisch ernst genommen?
Sind wir gescheitert? Eine schwierige Frage. Persönlich haben wir sicher nicht erreicht, was uns damals vorschwebte. Mehr vorschwebte als es uns wirklich klar war. Aber die Bewegung von damals – Berkley, Paris, Prag, sie lebt, heute in Minsk oder Rangoun und an vielen anderen Orten. Sie gibt es in dem gewerkschaftlichen Kämpfen ebenso, wie im Widerstand gegen die Kriege, die Ausbeutung und die Unterdrückung. Und deshalb ist die Frage jenseits unserer persönlichen Biografien nicht entschieden.
Was zu tun ist? Noch eine schwierige Frage, nur durch die Diskussion und den Zusammenschluss aller zu beantworten, die am Ziel einer Welt ohne Ausbeutung und Krieg festhalten. Eine einleuchtende Sache, die schwer zu machen ist. Jeder muss selbst entscheiden, nach Maßgabe seiner Kräfte und Möglichkeiten. Aber zu dem, was Not tut, gehört ganz bestimmt die Solidarität mit allen, die heute im Widerstand gegen die Barbarei in ihren verschiedenen Formen ganz vorne stehen.